Volterra – Stadt des Alabasters und der Etrusker
Rund 550 Metern hoch über den Tälern der Cecina und Elsa prangt diese Stadt mit ihrer über 2000jährigen Geschichte. Getreidefelder, Schafweiden und die Balze, zerklüftete Steilhänge aus porösem Lehm- und Tuffstein, prägen das Landschaftsbild.
Innerhalb der einstmals 7 Kilometer langen Stadtmauer, die zu weiten Teilen noch steht, spürt man in jedem Winkel dieser mittelalterlichen Stadt deren geschichtsträchtige Atmosphäre. Die Ursprünge gehen auf das 4. Jahrhundert vor Christus zurück. Das einstige Velathri, mächtiges Mitglied des etruskischen Zwölfstädtebundes, lag bereits zu dieser Zeit geschützt hinter einem hohen Siedlungswall. Wenige Jahrhunderte späte fiel es jedoch als Volaterrae („die über das Land dahin Fliegende“) an die Römer. Bald auch zum Christentum bekehrt, stellte Volterra mit Linus den zweiten Papst der Geschichte und wurde zum Bischofssitz. Dessen Inhaber waren jedoch lange Zeit auch an der weltlichen Machtausübung interessiert. An der bischöflichen Herrschaft änderte auch die opponierende Bürgerschaft nichts, die hier im Jahre 1208 das erste Rathaus der Toskana errichtete. Erst die Übernahme der Stadt durch den Medici Lorenzo Il Magnifico im Jahr 1472 änderte die herrschenden Machtstrukturen auf längere Zeit.
Die Zeugnisse aller Epochen die Volterra in seiner Geschichte durchlaufen hat finden sich überall in der Stadt. Mittelalterliche Palazzi umsäumen den Marktplatz, zahlreiche Kirchen, Museen, Turmhäuser und historisch bedeutsame Plätze prägen das Stadtbild. In manchen Ecken und Winkeln scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Zum Beispiel beim ältesten Turmhaus der Stadt, der „Casa-Torre Toscano“ aus dem 12. Jahrhundert an der Piazza San Michele.
Die wichtigsten Sehenswürdigkeiten Volterras liegen dicht beieinander:
Piazza dei Priori
Im Herzen des historischen Ortskerns liegt die Piazza dei Priori, vor der man sagt, dass er einer der best erhaltenen Plätze ganz Italiens sei, mit dem Zinnen gekrönten Palazzo die Priori, dem ersten Rathaus der Toskana. Ihm gegenüber steht direkt der aus dem 13. Jahrhundert stammende Palazzo Pretorio mit dem einstigen Gefängnisturm „Torre del Podestà“, der seit ewigen Zeiten nur als Torre del Porcellino, also als „Ferkelturm“ bekannt ist.
Duomo Santa Maria Assunta
Auf der Piazza San Giovannni empfängt der romanisch-pisanische Duomo Santa Maria Assunta aus dem 1120 n. Chr. seine Besucher. Die Basilika ist unverkennbar durch zahlreiche Stilrichtungen, denen sie im Laufe einiger Umgestaltungen unterworfen war, geprägt. Besonders eindrucksvoll ist die von Fabelwesen umgebenen Kanzel und die versilberte und vergoldete Kreuzabnahme (Deposizione), eine der größten Holzskulpturen Italiens.
Battistero
Im Innern des achteckigen Baptisteriums (13.Jahrhundert) mit seiner grün-weiß gestreiften Marmorfassade beeindruckt das wunderschöne Taufbecken von Andrea Sansovino mit einem schönen Relief der Taufe Jesu Christi.
Fortezza & Akropoli Etruska
Bei der Fortezza Medicea handelt es sich um den größten Festungsbau der italienischen Renaissance. Heute beherbergen beide Festungen, Rocca Nuova und Rocca Vecchia mit ihren Türmen „Il Maschio“ (das Männchen) und „La Femmina“ (das Weibchen) die Trakte eines Hochsicherheitsgefängnisses. Dafür kann jedoch die daneben liegende Ausgrabungsstätte der erst zu Beginn des 20 Jahrhunderts entdeckten etruskischen Akropolis, mit den Ruinen ihrer Bauten aus verschiedenen Epochen, besichtigt werden
Museo Etrusco Guarnacci
Die kulturhistorisch bedeutendste Attraktion der Stadt ist jedoch ohne Zweifel das Museo Etrusco Guarnacci im Palazzo Desideri Tangassi. Dabei handelt es sich um eines der bedeutendsten etruskischen Museen der Toskana. Benannt wurde es nach dem Geistlichen, Historiker und leidenschaftlicher Hobby-Archäologen Mario Guarnacci (1701 – 1785), der seiner Heimatstadt Volterra seine Privat-Sammlung etruskischer Funde überließ. 600 Ascheurnen und Grabbeigaben aus Tuff, Tonerde und Alabaster aus dem 5. – 1. Jahrhundert v. Chr. setzen den Schwerpunkt der Sammlung.
Kastenförmig, mit seitlichen Reliefverzierungen liegt jeder Urne noch eine nach dem Abbild des Toten modellierte Deckelfigur auf. Die Reliefs stellen detailreich Todesriten, Opferszenen, Reisen ins Jenseits oder Abschiedsszenen dar
Dabei sind die Urnen nicht chronologisch nach Zeit oder Material sondern ausschließlich nach dem Thema des Reliefs sortiert.
Besonders kostbare Einzelstücke werden in der ersten Etage des Museum präsentiert. Darunter befindet sich der berühmte, in keinem Geschichtsbuch fehlende Terracottadeckel „Gri Sposi“ (Das Ehepaar) und die Bronzestele „Ombra della Sera“, der Schatten einer menschlichen Figur.
Neben einer Sammlung rarer etruskischer Gold-, Silber- und Bronzemünzen sind Alabasterbrunnen, Mosaikböden und Schmuckstücke weitere eindrucksvolle Ausstellungsstücke.
Alabaster
Ein weiteres etruskisches Erbe, das die Stadt bis heute prägt, ist der Abbau und die Verarbeitung von Alabaster Über den Ursprung des Wortes herrscht bis heute keine Einigkeit. Eine mögliche Variante der Wortdeutung stammt von den ägyptischen Wörtern „anar“ und „bastet“, was so viel bedeutet wie „Stein der Göttin Bastet“, und als ein wahrhaft göttlicher Stein schien der zerbrechlich-zarte, weich schimmernde und transparente Alabaster auch den Einwohnern Volterras, der Hauptstadt des Alabasters.
Bestehend aus Kristallen des Kalziumsulfats ist Alabaster, dessen Farben von schneeweiß, über elfenbeinfarben, gelb, rot bis zu grau reichen, eine Art Gips.
In Volterra finden sich allein 50 verschiedene Alabaster-Sorten. Alabaster ist extrem hitze- und feuchtigkeitsempfindlich, härter als Gips, aber viel weicher als Marmor und daher auch wesentlich leichter zu verarbeiten. Es wird nicht wie Marmor in Steinbrüchen geschnitten, sondern im Tagebau in Form so genannter „ovuli“ (Eier) gefördert. Dabei liegen diese Eier manchmal nur wenige Meter oft aber mehrere Hundert Meter unter der Erde und können bis zu 100 Kilo schwer sein.
Die Lagerstätten des Alabasters, wie die Grube Cipolloni in Volterra, entwickelten sich an Stellen an denen vormals sehr kalkhaltige Seen lagen. Über Millionen von Jahren hinweg trockneten diese aus und hinterließen solch Calciumsulfatansammlungen in Form von Gips und Alabaster.
Bereits im 6. Jahrhundert v. Chr. stellten die Etrusker in Velathri Urnengefäße aus Alabaster her. Griechen und Römer verwandten das Material bevorzugt für die Verkleidung von Wänden und zur Lampenherstellung. Doch die Hochzeit des Alabasters reichte nur bis ins 8. Jahrhundert n.Chr.
Der Stein erschien im Vergleich zum edlen Marmor einfach als wertlos. Erst im 16. Jahrhundert wurde er, immer noch gering geschätzt, für die Herstellung alltäglicher Gebrauchsgegenstände und als billiger Glas-Ersatz für Kirchenfenster wieder verstärkt genutzt. Ebenfalls üblich war seine Verwendung als Marmor- oder Bronzeimitat. Dazu wurde Alabaster entweder erhitzt, was ihm die Transparenz raubt, oder aber mit Bronze überzogen. Gemahlen und wie Gips in Formen gegossen konnte man mit Alabaster in die Großproduktion von Billigware gehen.
Doch wieder geriet Alabaster für längere Zeit in Vergessenheit. Erst Ende des 18. Jahrhunderts entdeckte der italienische Adelige Cavalliere Marcello Inghirami-Frei Alabaster als Material für Kunstwerke wieder. Von ihm engagierte Künstler schulten Volterras Handwerker in einer qualitativ hochwertigen Verarbeitung des Materials und bald konnten die Alabaster-Erzeugnisse weltweit vermarktet werden. Das Aufkommen des Art Deco gab der Produktion später weiteren Auftrieb und der Verkauf von Alabaster-Souvenirs an amerikanische GIs nach dem Zweiten Weltkrieg sorgte für ansteigende Exporte in die USA.
Aber die wechselvolle Geschichte des Alabaster-Marktes endete damit nicht. In den 1980er Jahren stürzte er erneut in die Krise. Dieser versuchte man in Volterra dadurch zu begegnen, dass man unter dem Dach des neu gründeten Verbandes „Euralabastri“ ein Gütesiegel für Alabaster aus Volterra entwickelte und mit dieser Qualitätsgarantie Verkauf und Vertrieb ankurbeln möchte.
Auch die zu besichtigenden unterirdischen Förderstellen und das Bergwerkmuseum des Ecomuseo dell’Alabastro fördern das Interesse an Alabaster ebenso wie die weltweit einzige Schule für Alabasterkunst das Renommee dieses Kunsthandwerks pflegt. Die Werkstätten in und um Volterra sind wieder so zahlreich, dass für jeden ein edles Kunsthandwerksstück oder aber eine kitschige David-Kopie dabei sein dürfte.
Palazzo Viti
Ein bedeutender Alabasterhändler, Guiseppe Viti erwarb Ende des 19. Jahrhunderts den Palazzo Viti, ließ ihn mit feinsten Alabasterarbeiten, Gemälden und antiken Möbeln ausstatten und konnte in diesem Ambiente sogar König Vittorio Emanuele als seinen Gast beherbergen. Heute kann man die edle Inneneinrichtung der königlichen Gemächer besichtigen.
Feste und Veranstaltungen
Natürlich gibt es im Jahr auch eine Menge in Volterra zu feiern. Klassik-Fans kommen bei den Konzerten „Primavera musicale“ im Frühling auf ihre Kosten. Theater- und Jazzliebhaber zieht es im Juli zum „Volterra Teatro“ bzw. zum „Volterra Jazz“. Kaum eine andere Stadt wird eine bessere Kulisse für ein mittelalterliches Fest bieten als Volterra, das jedes Jahr im August zum „Rievocazione medivale“ mit seiner eigenen mittelalterlichen Währung, dem Grosso, lädt. Last but not least wird die traditionelle Kunst des Fahnenschwingens während des „Gioco delle Bandiere / Astiludo“ zelebriert.